Endlich angekommen

Nachdem Frank Giering fast schon seinen Traum aufgeben will, [1] kommt der Wendepunkt bei einer öffentlichen Aufführung des Woyzeck, bei der er einer Regieassistentin auffällt, die ihn anschließend zu einem Casting für den Fernsehfilm Der Verräter überredet. Da er nichts hat, was er als Referenz hätte vorzeigen können, dreht sie kurzerhand ein kleines Video mit ihm und schießt ein paar Fotos, welche ihm eine Einladung zum Vorsprechen verschaffen sollten. [2]

Sein leises, zurückgenommenes Spiel, in der Schauspielschule ständiger Auslöser für Kritik, überzeugt den Regisseur Diethard Klante. Frank Giering erhält seine erste Hauptrolle in einem Fernsehfilm. [3]

Dieser Moment hat sich für immer in sein Gedächtnis eingebrannt. »Der schönste Augenblick in meinem Leben spielte sich in einer Telefonzelle in Babelsberg-Nord ab. Ich traute mich kaum, das Geld in den Schlitz zu werfen, so aufgeregt war ich: Es war der Tag nach dem Casting für meinen ersten Film Der Verräter, und ich sollte fragen, ob ich die Rolle bekomme. Die Frau am anderen Ende der Leitung sagte nur: ›Ich weiß gar nicht, ob ich es Dir schon sagen darf.‹ Ich fragte: ›Wie? Habe ich die Rolle?‹ ›Ja, Du hast die Rolle!‹« [4]

Nachdem die erste Begeisterung über diese Mitteilung verflogen ist, setzt sich bei Frank Giering allerdings schnell eine quälende Unsicherheit fest, hat er doch keinerlei Vorstellung davon, was ihn da am Filmset erwarten wird und was man sich im Gegenzug von ihm selbst erhofft. Er sucht erneut das Gespräch mit dem Regisseur. Diethard Klante nimmt seine Nachfragen zum Glück mit Humor und versucht gutmütig, die Ängste seines jungen Hauptdarstellers zu zerstreuen. Frank Giering dankt es ihm mit großer Treue und wird auch später immer wieder für kleinere Nebenrollen zur Verfügung stehen (Hannas Baby und Tod einer Freundin) [5]. »Ich wusste überhaupt nicht, wie das so geht. Nachdem ich das Drehbuch bekommen und gelesen habe – man liest so ein Buch ja in circa zwei Stunden – habe ich erst einmal den Regisseur angerufen und gefragt: ›Wenn wir jetzt den ganzen Tag drehen…‹ – ich wusste überhaupt nicht, wieviel wir pro Tag drehen; also ob wir jetzt gleich das halbe Buch drehen. Ich wollte von ihm wissen, was ich auswendig lernen muss. Und wie laut ich sprechen muss, wenn ich über eine Straße gehe und so weiter. Aber er hat dann nur gelacht und gesagt: ›Komm, mach mal ganz ruhig. Das wird schon alles. Das kriegen wir schon hin.‹« [6]

Während der Dreharbeiten erkennt er, dass die Kamera ihm die Möglichkeit gibt, die hinteren Ränge, die er im Theater nie hatte erreichen können, zu sich heranzuholen. [7] Er muss nicht mehr schreien und gestikulieren wie an der Schauspielschule. [8] Endlich kann er seine eigene Vorstellung vom Schauspielen ausleben, Gefühle nur durch Blicke und minimale Gesten ausdrücken. Er erahnt zum ersten Mal die Magie seines Berufes, den er anfangs aus ganz anderen Gründen erwählt hat. »Eigentlich habe ich gemerkt, dass es um etwas ganz Anderes geht. Etwas, das mit den Momenten zu tun hat, in denen die Kamera ganz nah an Dich heranfährt und jemand zu Dir sagt: ›Ja, genau so. Die Kamera kann sehen, was du denkst.‹« [9]

Er spielt den labilen 18-Jährigen Paul, der auf der Suche nach Anerkennung in die Fänge einer Nazi-Gruppe gerät, so wie er ihn fühlt: zurückgezogen, verletzlich, leise und mit kleinen Gesten. [10] Die Kamera wird dabei seine Meisterin, seine Muse. Er liebt ihr Surren, will, dass sie immer näherkommt. [11] Er weiß endlich, was er will. Seine Zukunft ist nicht das Theater, seine Zukunft ist die Film- und Fernsehschauspielerei. [12] »Ich spiele lieber ganz klein, rede ganz leise und die Kamera fängt das dann irgendwie ein. Ich denke, dass hat mehr Geheimnis, als auf der Bühne alles zu zeigen.« [13]

Frank Giering bei einem Pressetermin zu seinem ersten Fernsehfilm »Der Verräter« (Februar 1995) / ©picture-alliance / ZB / Nestor Bachmann
Frank Giering bei einem Pressetermin zu seinem ersten Fernsehfilm »Der Verräter« (Februar 1995) / ©picture-alliance / ZB / Nestor Bachmann

Auf die Frage, ob er ein Method Actor sei, sagt er später einmal: »Ja, aber das ist jetzt auch nicht so, dass ich eine bestimmte Methode hätte, etwas zu machen. Ich versuche einfach, mich in ein Gefühl fallen zu lassen, das zu treffen und dann in dem Gefühl zu sein, zu spielen, zu wirken. Aber ich mache das jetzt nicht bewusst nach irgendeiner Methode.« [14]

Sein Studium an der HFF Potsdam hat er nicht wiederaufgenommen. Und auch dem Theater hat er nach seinem ersten und einzigen Gastengagement am Staatstheater Cottbus  [15], in dem er in der Saison 1994/95 noch während seines Studiums die Rolle des Daniel in der Inszenierung »Das geheime Tagebuch des Adrian Mole« nach Sue Townsend übernahm, bis auf wenige kurze Gastspiele in seiner Heimatstadt  [16], schnell den Rücken gekehrt.

Er hat diese Abkehr von der Theaterbühne später einmal folgendermaßen begründet: »Ich habe einmal Theater gespielt – noch während des Studiums. Das hat mir aber nicht so viel Spaß gemacht. Und es gibt Leute, die können das richtig gut. Mein Lieblingsschauspieler zum Beispiel – Erik Roßbander, der spielt in Bremen Theater: der ist so magisch und faszinierend, da stehe ich immer nur staunend davor und denke mir: ›Das kann ich nicht. Das lasse ich lieber.‹« [17]

Die tiefe Abneigung, die er seit seinem Studium dem Theater gegenüber hegt, wird auch bei der Beantwortung der Frage, ob er sich den Beruf des Schauspielers in seinen früheren Träumen in etwa so vorgestellt habe, sehr deutlich: »Auf der Bühne nicht, aber beim Film ist die Realität viel schöner als ich mir das je hätte vorstellen können.« [18]

Seine erste Gage nutzt er, um seiner Mutter eine Freude zu machen. Nachdem sie ihm in seiner Kindheit Elvis als leuchtendes Vorbild ans Herz gelegt hat, ist er bestrebt, diesem Beispiel zu folgen und seine Dankbarkeit und Liebe ebenfalls durch ein Geschenk auszudrücken. Statt eines Arsenals aus Autos und anderen Luxusartikeln, mit der der Legende nach Elvis seine Mutter beglückt haben soll, fällt seine Wahl mit einer neuen Schrankwand mitsamt passender Auslegeware allerdings etwas prosaischer aus. Gegenüber spöttischen Kommentaren verteidigt er diese Wahl später einmal mit dem Argument, seine Mutter besäße ja auch gar keinen Führerschein. Ein wenig bedauert hat er aber, dass die eigentliche Geschenkübergabe schon allein aus organisatorischen Gründen eher nüchtern verlaufen ist. Die Lieferung nebst Aufbau per Möbelspedition lässt eben keine wirkliche Romantik zu. [19]

Die alte Schrankwand rettet er in sein Kinderzimmer. [20]


[1]     Interview Frank Giering, in: ZIBB, Erstausstrahlung 05.11.2004, RBB.

[2]     Vogt, Rainer: Am liebsten schwarz, in: Stern TV Magazin, Heft 48/2006, S. 2.

[3]     Giering, Frank: Traumerfüllung in der Traumfabrik, in: EPD Film, Heft 1/2007, S. 5 und Jung, Artur: Wege zum Ruhm, in: Cinema, Heft 2/2001, S. 85.

[4]     Jung, Artur: Wege zum Ruhm, in: Cinema, Heft 2/2001, S. 85.

[5]     Interview Diethard Klante, in: ZDF Pressetext zum Film Tod einer Freundin vom 20.10.2006; in Auszügen hinterlegt auf: http://www.efi-de.com/maxgesucht/fernsehen/tod-einer-freundin/tod-einer-freundin.htm. Diethard Klante wird hier mit den Worten zitiert: »Frank Giering hat vor Jahren seine erste Rolle bei mir gespielt. Diesmal ist es nur eine kleine, so wie für Franziska Walser, Johanna Klante, Teresa Harder, Siemen Rühack, Andre Hennicke. Aber sie machen das großartig. Sie geben dem Film sein unverwechselbares Gesicht: ihr Gesicht. Und ich bin stolz und glücklich, dass sie auch für einen oder zwei Drehtage zu mir gekommen sind.«; abgerufen am 10.07.2018.

[6]     Interview Frank Giering, in: Volle Kanne, Erstausstrahlung 10.01.2007, ZDF.

[7]     Interview Frank Giering, in: ZIBB, Erstausstrahlung 05.11.2004, RBB.

[8]     Hildebrandt, Antje: Der Nesthocker, in: Stuttgarter Zeitung vom 09.12.2006.

[9]     Kohls, Mareile: Der Mork von Magdeburg, in: Allegra, Heft 1/2000, S. 153.

[10]     Vogt, Rainer: Am liebsten schwarz, in: Stern TV Magazin, Heft 48/2006, S. 2.

[11]    Hildebrandt, Antje: Der Nesthocker, in: Stuttgarter Zeitung vom 09.12.2006.

[12]    Vogt, Rainer: Am liebsten schwarz, in: Stern TV Magazin, Heft 48/2006, S. 2.

[13]    Bartels, Christian: Hey, das ist doch…, in: Stern TV Magazin, Heft 21/2001, S. 2.

[14]    Interview Frank Giering, in: Volle Kanne, Erstausstrahlung 10.01.2007, ZDF.

[15]    Mache, Birgit: Im Rampenlicht – 100 Jahre Theater am Schillerplatz in Cottbus, Ausgabe 2008, Herausgeber: Staatstheater Cottbus, S. 240.

[16]    Frank Giering war mindestens zweimal in der Magdeburger Realsatire »Olvenstedt probiert's« zu Gast, in der jedes Jahr aufs Neue eine fiktive Amateurtheatergruppe ein Stück probt.  (u.a. Dezember 1999 mit Olvenstedt probiert`s: 7. Versuch – Amphitryon oder das Millenium-Baby, Quelle: Engelhardt, Conrad: Absoluter Gigant, in: Dates Stadtmagazin Magdeburg, Heft 12/1999, S. 30 und Dezember 2000 mit Olvenstedt probiert`s: 8. Versuch – Dreigroschenoper, Quelle: Interview Frank Giering, in: MDR um zwölf, Erstausstrahlung 22.12.2000, MDR. Beide Aufführungen fanden in den Freien Kammerspielen statt).

[17]    Interview Frank Giering, in: Volle Kanne, Erstausstrahlung 20.02.2003, ZDF.

[18]    Interview Frank Giering, in: Hier ab vier, Erstausstrahlung 16.12.2004, MDR.

[19]    Interview Frank Giering, in: Riverboat, Erstausstrahlung 29.10.2004, MDR.

[20]    Interview Frank Giering, in: Thadeusz, Erstausstrahlung 09.03.2010, RBB.