Der neue James Dean oder Ein Absoluter Gigant

Von der Presse wird Frank Giering nach Funny Games und Opernball als großes Schauspieltalent gehandelt. Vergleiche mit James Dean kommen auf. Frank Giering scheinen diese Vergleiche zwar durchaus geschmeichelt zu haben, gleichzeitig stand er dieser Erwartungshaltung auch immer etwas hilflos und peinlich berührt gegenüber. In einem Beitrag des Stern hat er demzufolge mit einer gewissen Selbstironie auf die Frage nach seiner Zukunft geantwortet: »Wenn ich mich gut halte: der neue Mario Adorf.« [1]

In einem Interview hat er sich die Bezeichnung des »deutschen James Dean« einmal weniger über die Optik als durch eine sehr ähnliche Ausstrahlung, einer Aura der Verlorenheit erklärt. Bei ihm persönlich resultiere diese Melancholie meist aus der Kluft zwischen der Wirklichkeit und seinen Traumwelten, in denen er sich das Leben nach seinen eigenen Vorstellungen und Wünschen gestalte und zurechtmale. Da diese Träume der Realität selten standhalten, strahle er als Resultat oft eine Traurigkeit aus, die selbst bei Fremden den Wunsch erzeuge, ihm helfen zu wollen. Und so dazu führt, dass er oft angesprochen wird, »wenn ich spiele oder wenn ich irgendwo rumstehe«. [2] Er empfindet diese Aufmerksamkeit aber nie als negativ oder störend, sondern deutet sie ganz im Gegenteil als eine ganz besondere Form des »Beachtetwerdens«, die er sehr genieße. [3] »Ich finde das schön, wenn die Leute denken, ich bin traurig und mir dann helfen wollen. Und wenn sie dann merken, ich bin gar nicht traurig, dann ist das auch nicht schlimm.« [4]

In gewisser Weise denkt er, dass diese Ausstrahlung, die ihm gar nicht immer bewusst ist, [5] auch einfach seinen dunklen Augenbrauen und der geringen Körpergröße geschuldet ist. »Ich habe halt diesen melancholischen Hundeblick. Das kommt durch die dunklen Augenbrauen – und weil ich nicht so groß bin und daher meist von unten nach oben schaue. Aber ich mag das eigentlich.« [6]

Frank Giering bei einem Fotoshooting in den Zeisehallen Hamburg (Juni 2000) / ©imago/Andre Poling
Frank Giering bei einem Fotoshooting in den Zeisehallen Hamburg (Juni 2000) / ©imago/Andre Poling

Doch nicht nur Vergleiche mit James Dean kommen auf. Während mancher sich an Peter Lorre erinnert fühlt, [7] stellte ihn Miguel Alexandre, der ihn für Gran Paradiso besetzen wird, auf eine Stufe mit Marlon Brando. »Er ist einer der genialsten Charakterdarsteller, den wir in Deutschland haben. Einer, der unglaublich viel zu seinen Figuren beiträgt. Ich wage sogar zu behaupten, dass man seine schauspielerische Qualität mit der von Marlon Brando messen kann – auch wegen seiner Rohheit, seiner Natürlichkeit und dem Bauchgefühl, das er mitbringt.« [8]

In der Folge werden die Rollenangebote immer vielseitiger. Sein Repertoire wird um die Figur des sehnsuchtsvollen Melancholikers erweitert. In dieser Zeit spielt er seine wohl schönste Rolle als Floyd in dem Film Absolute Giganten von Sebastian Schipper. Auch wenn dem Film an den Kinokassen kein großer kommerzieller Erfolg beschieden ist und er bereits nach zwei Wochen aus den meisten Programmen genommen wird, entwickelt er sich über die Jahre zu einem echten Kultfilm.

Und die Rolle des Floyd, der sich voller Sehnsucht aufmacht, den Ort zu finden, an den er wirklich hingehört und eine letzte unvergessliche Nacht mit seinen beiden Freunden Ricco und Walter erlebt, wird auf immer untrennbar mit Frank Giering verbunden sein und ihm den endgültigen Durchbruch verschaffen. Das wohl schönste Kompliment erhält er dabei vom Regisseur Sebastian Schipper selbst, der ihm bei einer Szene, in der sein Blick voller Melancholie ins Nichts gleitet, bescheinigt, wie ein sehr alter Mann zu wirken. Und der sich wiederum riesig darüber freut, dass Frank Giering dieses Kompliment annimmt und zu schätzen weiß. [9]

Dabei sollte er eigentlich für eine ganz andere Rolle vorsprechen, für die des gemütlichen Walter nämlich. Doch als er sich voller schlechter Laune und Frust darüber, wieder einmal »das kleine Dickerchen« spielen zu müssen, zum Casting aufmacht, an sich und dem Leben zweifelnd, um mit wirren Haaren und sehnsuchtsvollem, verlorenem Blick in die Kamera zu schauen, bekommt er die Rolle nicht. Dafür aber einen neuen Text, verbunden mit der Bitte, am nächsten Tag noch einmal reinzuschauen. Sebastian Schipper ist schnell klar: er hat mit Frank Giering nicht seinen Gemütlichen gefunden, dafür aber seinen Sehnsuchtsvollen. [10]

 Frank Giering / ©Alamy
Frank Giering / ©Alamy

Und Frank Giering spielt diese Rolle so, »wie sie gespielt werden muss – echt und kompromisslos.« [11] Die Sehnsucht und Verlorenheit, die in manchen Momenten in seiner Stimme und seinem Blick liegen, überwinden die üblichen Grenzen der Schauspielerei. [12] Da ist jemand, der die Kamera wirklich in seine Seele schauen lässt, der den kleinen Jungen in sich preisgibt und aus den Tiefen seiner Ängste und Hoffnungen schöpft, die bei ihm immer offen zu Tage treten – ganz dicht unter der Haut. [13]

Die Intensität seines Blickes macht auch vor Sprachbarrieren keinen Halt. Robin Proper-Sheppard, Kopf der Band Sophia, die mit Reprise und If only zwei Songs zu dem Soundtrack von Absolute Giganten beisteuern, hat sich für immer die Schlussszene ins Gedächtnis eingebrannt, in der die drei Freunde ein letztes Mal die Köhlbrandbrücke queren. Der Ausdruck in Frank Gierings Augen, das Übermaß an Gefühl und die tiefe Melancholie, die sich in diesem Moment in seinem Blick spiegeln, erzählen so viel mehr, gehen so viel tiefer, dass es für Proper-Sheppard keiner Worte bedarf, um zu verstehen. [14]

Auch wenn Frank Giering seine neue Freiheit, in keiner Schublade gefangen zu sein und damit sehr abwechslungsreiche Rollenangebote zu erhalten, sehr schätzt, schürt dies doch auch wieder neue Ängste. Wird er es schaffen, den Rollen gerecht zu werden? Mehrfach erhält er Angebote, die ihn an sich zweifeln lassen. »Für die eine Rolle fand ich mich zu jung, bei einer anderen dachte ich, ich hätte nicht die gewünschte intellektuelle Ausstrahlung.« [15]

Er beginnt zu begreifen, dass das Prädikat »wandlungsfähig zu sein« harte Arbeit bedeutet. »Aber das muss man sich verdammt hart erarbeiten. Funny Games war ein toller Film, der sogar in Cannes lief, aber für mein Demotape konnte ich daraus fast nichts benutzen, weil ich da einfach zu fett war. Wenn Du keinen Film wie Absolute Giganten zum Gegenschneiden hast, fliegst Du beim Videocasting sofort auf den Stapel ›interessant, aber dick‹.« [16] Am Ende versöhnt ihn aber die Einsicht, dass dies immer noch vielversprechender klänge als der Stapel »schön, aber langweilig«. [17]


[1]     Ebert, Michael: … und morgen sind sie Stars, in: Stern, Heft 43/2000, S. 289.

[2]     Interview Frank Giering, in: NDR Talk Show, Erstausstrahlung 31.01.2003, NDR.

[3]     Interview Frank Giering, in: NDR Talk Show, Erstausstrahlung 31.01.2003, NDR.

[4]     Interview Frank Giering, in: NDR Talk Show, Erstausstrahlung 31.01.2003, NDR.

[5]     Porträt und Interview Frank Giering, in: Berlinale Studio, Erstausstrahlung 09.02.2006, RBB.

[6]     Herffs, Heike: Ich war das Mädchen, in: Maxim, Heft 2/2003, S. 140.

[7]     Hobsch, Manfred; Rathje, Klaus; Krämer, Ralf: Frank Giering, in: Filmszene D – Die 250 wichtigsten jungen deutschen Stars aus Kino und TV, Ausgabe 2004,  Schwarzkopf & Schwarzkopf, S. 144-145.

[8]     Presseheft Gran Paradiso.

[9]     Audio Kommentar Sebastian Schipper, in: Bonusmaterial DVD Absolute Giganten.

[10]    Kniebe, Tobias: Kleiner Junge groß in Fahrt, in: Focus, Heft 39/1999, S. 164 und Rodek, Hanns-Georg; Sudholt, Eva: Der sehnsüchtige Gigant, in: Welt am Sonntag vom 27.06.2010.

[11]    Kniebe, Tobias: Kleiner Junge groß in Fahrt, in: Focus, Heft 39/1999, S. 166.

[12]    Kniebe, Tobias: Du hörst immer nur diesen einen Moment, in: Süddeutsche Zeitung vom 25.06.2010.

[13]    Kniebe, Tobias: Kleiner Junge groß in Fahrt, in: Focus, Heft 39/1999, S. 166 und Kniebe, Tobias: Du hörst immer nur diesen einen Moment, in: Süddeutsche Zeitung vom 25.06.2010.

[14]    Ansprache von Robin Proper-Sheppard während eines Sophia Konzertes im Nochtspeicher Hamburg am 25.04.2016, bevor er Frank Giering das Lied If only widmete.

[15]    Schneider, Sabine: Ich gucke lieber, in: Leipziger Volkszeitung vom 31.01.2009.

[16]    Kohls, Mareile: Der Mork von Magdeburg, in: Allegra, Heft 1/2000, S. 153.

[17]    Kohls, Mareile: Der Mork von Magdeburg, in: Allegra, Heft 1/2000, S. 153.